Eure Kommentare zu meinem ersten Blog-Artikel „Klarheit ist doch total unfreundlich. Oder?“ haben mich sehr inspiriert. Das war natürlich auch meine Hoffnung: Dass ich von Euch lernen kann, was Euch bewegt. Wie ich Euch vielleicht hier und da eine andersartige Perspektive oder auch nur Grund zum Grübeln anbieten kann.
Einer meiner Lieblings-Kommentare kam von meinem yodamäßigen Box-Trainer Rüdiger May. Er schrieb mir: „Klarheit wird oft mit Angriff verwechselt.“ Wie die Faust aufs Auge, im wahrsten Sinne. Für mich ist das eine sehr treffende Beschreibung dessen, was passieren kann, wenn wir mit Klarheit und den besten aller Intentionen kommunizieren. Es ist nämlich leider nicht gesagt, dass unser*e Gesprächspartner*in diese Klarheit überhaupt möchte und entsprechend begeistert reagiert („Wow, danke, dass Du so klar kommunizierst! Das ist auch überhaupt nicht schmerzhaft für mich, denn ich werde gern ungefragt mit den Dingen konfrontiert, die ich lieber unter der Oberfläche halten möchte.“).
Ist Klarheit also wirklich immer der beste Weg? Nö.
So sehr ich alle verfügbaren Fahnen für die Klarheit hochhalte, ich weiß um ihre Schattenseiten. Denn Klarheit in der Kommunikation setzt voraus, dass die Beziehung sie aushält. Ich weiß das deshalb besonders gut, weil ich mich ja selbst lange Zeit vor ihr gedrückt habe. Und das oft bis heute tue. Nämlich immer dann, wenn ich nicht sicher bin, ob eine Beziehung stabil genug dafür ist. Oder wenn sie mir ganz besonders viel bedeutet.
Achtung, menschlicher Abgrund: Klarheit ist also immer dann besonders einfach, wenn uns die Beziehung zum Gesprächspartner nicht wichtig ist. Oder wenn wir uns irgendwie mächtiger fühlen als der andere. Müsst Ihr mal drauf achten. Ist nicht immer schön, kann aber ziemlich gute Erkenntnisse für Euch liefern.
Mir kam vorhin beim Joggen am Rhein ein Fußgänger entgegen. Genau auf „meiner Spur“, ganz rechts außen, so nah wie möglich am Wasser. Zu meiner Linken respektive seiner Rechten jede Menge Platz zum Ausweichen. Ich sah ihn schon aus weiterer Entfernung und gebe zu, dass sich mein rebellisches Kind-Ich dachte: „So. Ich bleib‘ mal bockig auf meiner Spur. Er kann ja ausweichen, ist ja genug Platz da.“ Er schien vergleichbar sture Gedanken gehabt zu haben und hielt gnadenlos auf mich zu. Machte dann auch noch doofe Zeichen mit den Armen. Ich bin dann schließlich doch ausgewichen – und er rief mir zu allem Überfluss zu: „Ich kann ja da runter (gemeint war der Rhein)!“ Mein Comeback: „Ja, ich auch. Was soll’n das?“ Mega souverän also. Dafür klar. War leicht. Beziehung zu dem Kerl ist mir Wurscht. Und ich fühle mich auch noch irgendwie schlauer als er. Also mächtiger. Igitt. Alle, die von mir oder jemand anderem schon mal was über Transaktionsanalyse gehört haben, schlagen jetzt zu recht entsetzt die Hand vor den Mund. We teach best what we most need to learn.
Mir geht es auch ohne Glanzleistung in zwischenmenschlicher Kommunikation tendenziell gut nach dieser zweifelhaften Begegnung, weil ich immerhin für mich gesorgt habe. Und das ist unterm Strich genau das, was ich mit meinem Appell zu mehr Klarheit in der Kommunikation erreichen möchte: Dass Ihr mehr für Euch sorgt. Und das insbesondere dann, wenn Euch die Beziehung zum Anderen eben nicht total Wurscht ist. Sobald Ihr ein kontextbezogenes Auswirkungsbewusstsein (also: Was könnte meine Vorgehensweise eventuell für Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit/Freundschaft/Partnerschaft/… haben?) für Eure Art der Kommunikation entwickelt und feststellt, dass Euch die Reaktion des Anderen wichtig ist, wird es komplizierter.
Um das möglichst gut hinzukriegen, müsst Ihr aus meiner Sicht zunächst einmal etwas Vorarbeit leisten (keine Sorge, die lohnt sich!) und Eure Werte sowie die sich daraus ergebenden Bedürfnisse für Euch klar haben. Das ist für mich die Basis.
Folgende Reflexionsfragen könnten Euch dabei helfen:
- Was ist mir wirklich wichtig? (Das sind Deine Werte. Es kann sein, dass Du sie leichter erkennst, wenn sie verletzt werden. Du könntest Dich also auch fragen: Was regt mich so richtig auf? Die Antworten kehrst Du dann um und hast Deinen Wert. Beispiel: Aufreger ist Ungerechtigkeit, Wert ist also Gerechtigkeit.)
- Was brauche ich, damit ich diesen Wert als erfüllt erlebe? (Das ist Dein Bedürfnis. In unserem Beispiel mit der Gerechtigkeit könnte das sowas sein wie: Ich brauche das Gefühl, die gleichen Entwicklungschancen wie meine Kollegen zu haben.)
Das Ganze nennt sich im Coaching Werte-Arbeit, auf die ich schwöre. Wir Menschen lieben es, mit unseren Werten in Kontakt zu kommen. Passiert leider im Alltag verdächtig selten. Und wenn, dann wie gesagt eher, wenn sie verletzt werden. Ihr könnt das aber eben auch wunderbar für Euch in der Selbstreflexion machen. Das lohnt sich wirklich sehr. Macht mal.
Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an Anneliese aus meinem letzten Blog-Artikel, die wollte, dass Ihr Mitarbeiter mehr Neukunden akquiriert. Sobald sie sich die Fragen zu ihren Werten und Bedürfnissen gestellt hatte, war im wahrsten Sinne des Wortes alles klar für sie. Vorher tappte sie im Dunkeln und konnte deshalb auch nicht von ihrem Mitarbeiter erwarten, dass er in irgendeiner Form Betroffenheit spürt und sein Verhalten ändert. Sobald sie ihre Werte und Bedürfnisse für ihn transparent gemacht hatte, konnte er nachvollziehen, worum es ihr wirklich geht. Eine der Leadership-Hauptaufgaben aus meiner Sicht: Orientierung geben. Wie soll das gehen ohne Klarheit?
Die Kunst ist nun also, diejenigen Situationen für Euch zu identifizieren, in denen sich der klare Weg wirklich lohnt. Ein guter Indikator dafür kann sein, wenn Ihr für Euch passende Antworten auf diese Fragen gefunden habt:
- Was ist meine positive Absicht? (Hier bitte sehr streng sein. „Die sollte endlich mal…“ zählt nicht.)
- Worum geht es wirklich?
- Bin ich gut vorbereitet?
- Passt der Moment?
Zum Glück können wir mit etwas Übung eine sehr wertschätzende Form der Klarheit erreichen. Und das ist dann die strahlend helle Seite der Macht:
- Ihr erreicht Eure Ziele, und das auch noch deutlich schneller.
- Der Andere kann Euch besser verstehen, was ziemlich sicher die Zusammenarbeit (oder die Partnerschaft oder oder) verbessert.
- Ihr handelt selbstwirksam – und das macht Euch super souverän (und attraktiv – ohne Witz).
Wie erlebt Ihr das? Wann fällt es Euch vielleicht leicht, klar zu sein? Wann eher nicht so? Schreibt mir, ich bin gespannt, von Euch zu lesen.
Bis nächsten Freitag!
Eure Saskia