Bevor ich in mein heutiges Thema eintauche, möchte ich zunächst einmal etwas klarstellen: In meinem letzten Artikel „Ich kann nichts dafür, mein Gehirn hat sich das ausgedacht!“ schrieb ich über den Konstruktivismus unter anderem, dass er einen pseudo-akademischen Namen trage. Meine Freundin Melanie, die das Apfel-Beispiel lieferte, hat mich danach richtigerweise darauf hingewiesen, dass das missverständlich sein könnte. Sie schrieb mir – frei zitiert: „Der (radikale) Konstruktivismus ist ein wesentlicher Teil der Erkenntnistheorie und gehört zu den Grundpfeilern der Kommunikationswissenschaft.“ Von pseudo also keine Spur. Ich meinte zwar mit meiner bewusst laxen Wortkonstruktion (ha!) lediglich, dass der Konstruktivismus meiner Erfahrung nach zu Unrecht allein schon wegen seines Namens oft deutlich weniger Beachtung findet, als er verdient hätte – dass genau das aber zu einem Missverständnis führen könnte, passt schon wieder hervorragend zum Kontext. Vielen Dank also an Dich, liebe Melanie, für Deinen Hinweis!
Jetzt aber: Heute mache ich mir vermutlich den einen oder anderen NLP-Anwender zum Feind. Hoffentlich nur kurzfristig. Es gibt Teile des NLP (das steht übrigens für Neurolinguistisches Programmieren), die ich sehr spannend finde und auch anwende. Ich bin allerdings kein 100%-Umsetzer (dafür fehlt mir auch die entsprechende Ausbildung), sondern ein pragmatischer Rosinen-Picker. Ein Coaching ohne Rapport, also einen guten Kontakt zu meinem Klienten, ist für mich zum Beispiel geradezu unvorstellbar. Ich bin auch hier Pragmatikerin und arbeite mit dem, was für mich und meine Klienten funktioniert.
Vielleicht habt Ihr an irgendeiner Stelle schon einmal mit den so genannten Metaprogrammen zu tun gehabt. Falls nicht, dann jetzt. Diese Metaprogramme wurden meines Wissens maßgeblich durch den US-Amerikaner Robert Dilts geprägt, der ein Schüler der NLP-Begründer John Grindel und Richard Bandler sowie des Psychologen und Psychotherapeuten Milton H. Erickson und des Anthropologen Gregory Bateson war. Ich finde das Thema Metaprogramme im Zusammenhang mit Zielerreichung sehr interessant und habe da so meinen ganz eigenen Ansatz. Ich bin gespannt, ob Ihr damit was anfangen könnt.
Im Englischen heißen die Metaprogramme „Sorting Styles“, was mir irgendwie besser gefällt, weil aus meiner Sicht schneller klar wird, worum es geht, nämlich um eine Art Sortier-System, über das laut NLP jeder von uns verfügt. Mich erinnert das ein wenig an den „Sorting Hat“ bei Harry Potter, der die Schüler von Hogwarts den vier Häusern zuteilt. Die Idee der Metaprogramme ist, dass die unfassbar vielen Eindrücke, die permanent von allen Seiten auf uns einwirken, durch eine Art Filter laufen, um die dadurch entstehende Komplexität unserer Erlebenswelt ein Stück weit zu reduzieren. Ganz einfach ausgedrückt, sind Metaprogramme für mich Verhaltens- und Denkmuster, die wir haben. Es gibt diverse Metaprogramme, zum Beispiel zur Entscheidungsfindung, zur Reaktion auf Stress, zur Richtung der Motivation uvm.
Wichtig dabei ist, dass es sich lediglich um Präferenzen bzw. Tendenzen handelt. Und keine davon ist besser oder schlechter als die andere, sondern eben das: anders. Es kann nur sein, dass – je nach Kontext – die eine Ausprägung zur Zielerreichung hilfreicher sein kann als die andere.
Und damit komme ich zum eigentlichen Punkt und zurück zu meiner heutigen Überschrift. Beim Metaprogramm zur Richtung der Motivation unterscheidet man im NLP zwischen „hin zu“ und „weg von“. Im ersten Fall entsteht die Motivation aus dem Wunsch, ein bestimmtes Ziel zu erreichen; im zweiten Fall entsteht sie aus der Vermeidung einer unerwünschten Situation.
Ein Beispiel für „hin zu“: „Ich will in 6 Monaten eine Strecke von 10km in 50 Minuten laufen.“ Ein Beispiel für „weg von“: „Ich will nicht mehr so viel Zeit auf dem Sofa verbringen.“
Man könnte jetzt herrlich darüber streiten, welche der beiden Zielformulierungen den größeren Erfolg verspricht. Normalerweise müsste ich als gute Systemikerin jetzt sagen: „Naja, es kommt ja darauf an, was für den Klienten passt.“
Das stimmt grundsätzlich auch, nur ist es im Zusammenhang mit Zielen – ob im Coaching oder sonstwo im Leben, privat oder beruflich – meiner Erfahrung nach hilfreicher, sich ins „hin zu“ zu bewegen. Der Grund ist leicht erklärt: Sobald ich mein Ziel als „hin zu“ formuliere, also positiv und lösungsorientiert, mache ich es meinem Gehirn deutlich einfacher. Das liegt daran, dass es im Gegensatz zur „weg von“-Formulierung nicht erst im Ausschlussverfahren entscheiden muss, was dann also stattdessen zu tun ist. Wir nehmen ihm diesen wichtigen Arbeitsschritt schon vorher ab. Spart Energie. Und Zeit. Und Frust. Bei dem Sofa-Beispiel müsste das Hirn ja jetzt erstmal alle Möglichkeiten durchscannen – was könnte das genau bedeuten? Wahrscheinlich muss es das auch noch tun, während wir mit ihm auf dem Sofa sitzen. Doof. Denn, wie der Neurobiologe Gerald Hüther sagt, das Gehirn hat nur ein Ziel: Energie sparen. Ich halte die Erfolgschancen deshalb für eher schmal. (Ich weiß, es gibt natürlich gute Gegen-Beispiele. Aber so generell.)
Es kann gut sein, dass Ihr für Euch schon mal beim Lesen überlegt habt, wozu Ihr eher tendiert – „hin zu“ oder „weg von“. Oft ist es auch eine Mischung aus beidem, zum Beispiel sowas wie „Ich will mehr Sport machen und weniger auf dem Sofa liegen.“ (Mein Hirn fragt sofort: „Was heißt denn mehr? Und was weniger?“ Eures auch?) Und weil es mir so wichtig ist, sage ich es nochmal: Grundsätzlich sind beide Varianten wunderbar. Ihr könntet Euch nur fragen, welche Euch vielleicht eher hilft, wenn es darum geht, Eure Ziele zu formulieren und zu erreichen.
Ziele sind realistische Träume. Sie sind auf den Kopf gestellte Probleme. Sie bewirken unsere Fokussierung. Sie geben uns Orientierung, eine Richtung. Sie aktivieren Handlung. Sie fördern Transparenz und Bewusstsein. Sie schenken uns Energie. Und weil Ziele so etwas Wunderbares sind und ich die leider meist leere Phrase „SMARTe Ziele“ nicht mehr hören kann, kommt sie hier nun also, die von mir frei adaptierte Magic List of Wohlgeformtheitskriterien von klaren Zielen aus meiner Ausbildung zum systemischen Coach, die ich in der Auftragsklärung nutze und die Ihr wunderbar auch mit Euch allein anwenden könnt.
- Positiv formuliert
- Streicht jedes NICHT und formuliert es um: Was wollt Ihr stattdessen?
- Selbstwirksam
- Ich kann etwas ändern! Wenn jemand anderes zur Zielerreichung notwendig ist oder Ihr wenig bis keinen Einfluss auf die Zielerreichung habt, ist es kein gutes Ziel für Euch. Schaut Euch mal Eure Ziele durch, die Ihr vielleicht im Job habt für einen eventuellen Bonus. Die enthalten oft fantastische Negativ-Beispiele für Selbstwirksamkeit.
- Kontextspezifisch
- Wann genau?
- Wie genau?
- Was genau?
- „Nein sagen“ macht zum Beispiel nicht in jedem Kontext Sinn.
- Spezifisch
- s.o. das Sofa-Beispiel: Was genau heißt „mehr“ oder „weniger“ oder „besser“ etc.?
- Ökonomisch
- Inwiefern lohnt sich das überhaupt?
- Zu welchem Preis?
- Was muss ich aufgeben?
- Ökologisch
- Inwiefern passt das zu mir?
- Wie stimmig fühlt sich das an?
- Wen betrifft das noch?
- Beispiel: Ziel vom Vorgesetzten vs. eigene Ziele – wie bekomme ich das übereinander?
- Sinnvoll
- Welchen Sinn macht das?
- Beweglich
- Ruth Maria Sarica: „Ziele sind nicht in die Welt genagelt.“
Ich wünsche Euch viel Spaß und Erfolg beim Experimentieren! Vielleicht habt Ihr ja sogar Lust, Eure Erfahrungen mit mir zu teilen. Ich freue mich drauf!
Bis nächsten Freitag! Bleibt klar.
Eure Saskia