To read this article in English, please scroll down. Am Mittwochabend hat die deutsche Nationalelf gegen Tschechien gespielt. Ich weiß erst seit heute Morgen, wie das Spiel ausgegangen ist. Wir haben gewonnen. 1:0. Normalerweise wüsste ich das Ergebnis aus erster Hand, weil ich selten ein Spiel unserer Mannschaft verpasse. Am Mittwoch habe ich mich zum ersten Mal bewusst gegen das Spiel im Fernsehen und für das sehr frühe Zubettgehen entschieden. Das ist insofern etwas artfremd für mich, weil ich normalerweise das Gemecker und Gemäkel „der Anderen“ an Jogi Löw und seinen Jungs richtig ätzend finde und ihnen optimistisch und zuversichtlich die Stange halte. Dass selbst ich in meiner grenzenlosen Loyalität jetzt lieber die Augen schließe als mir das Spiel anzusehen, spricht für mich alarmierende Bände. Und es bringt mich zum Nachdenken: Was ist es, dass uns Menschen begeistert, uns mitreißt, uns unterhält? Und was hat das mit menschlichem Verhalten in der Kommunikation im Unternehmenskontext zu tun?
Kreative Spieler*innen beherrschen die mentale Simulation
In meiner Recherche zum Thema fiel mir ein Artikel von Tobias Bug wieder ein, den ich vor einigen Monaten in der Zeit Wissen gelesen hatte. Der Artikel trägt die Überschrift „Der tödliche Pass“ und behandelt die Verbindung zwischen Neurowissenschaft und Fußball. Die Quintessenz: Kreative Spieler*innen beherrschen die mentale Simulation. Das bedeutet, sie haben die Fähigkeit, verschiedene Lösungsoptionen im Kopf durchzuspielen. Wenn diese Kompetenz dann gepaart wird mit Spielintelligenz, also die jeweils beste Lösung für ein aktuelles Problem zu finden, haben wir es mit Genie zu tun. Das klappt dadurch, dass bekannte, „normale“ Denkmuster mit ihren „alten“ Lösungen hinterfragt werden. Je mehr sich ein*e Spieler*in dann für die Umgebung öffnet (in diesem Falle für die Gegen- und Mitspieler*innen und deren Bewegungen), desto kreativer die Entscheidung. Das hat Daniel Memmert, der Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik in Köln, über seinen Kreativitätstest für Fußballer herausgefunden. Den hat er gemeinsam mit Neurowissenschaftlern der Universität Graz entwickelt. Und seitdem ich das weiß, erscheint es mir absolut logisch, dass die wenigen Momente in einem Spiel, in denen genau das passiert und die Spieler kreative Lösungen finden, diejenigen sind, die mich begeistern. Das erklärt auch, weshalb Weltklasse-Spieler wie Ronaldo oder Messi nur dann wirklich ihre Genialität zeigen können, wenn sie ihre Mitspieler einbeziehen: „Abschotten und die Umgebung ausblenden ist hinderlich“, das ist eine der Erkenntnisse von Daniel Memmert.
Langweilige Spiele sind diejenigen, in denen scheinbar nur nach Plan gespielt wird. Jeder bleibt brav auf seiner Position und tut das, was der Gegner, der vorher selbstverständlich x Videoanalysen gesehen hat, erwartet. Ein Torhüter, der wie Neuer plötzlich „mitspielt“, ein Sechser, der ein völlig unerwartetes Tor macht, das ist das, was uns begeistert. Diese These lässt sich wunderbar auf alle mir bekannten Sportarten übertragen. Klar, ich denke da auch schnell ans Boxen. Die wirklich großen Boxer waren schon immer diejenigen, die für Überraschungen gesorgt haben. Diese Begeisterung, die wir spüren, wenn wir ein solches Spiel, einen solchen Kampf sehen, dieses Kribbeln, darum geht es.
Planung gaukelt uns vor, wir könnten die Zukunft beherrschen
Im Umkehrschluss heißt das vielleicht: Wenn wir uns zu intensiv, zu genau vorbereiten, kann es passieren, dass uns genau das im entscheidenden Moment handlungsunfähig macht. Mein Bruder hat neulich einen Kommentar in diese Richtung zu meinem Artikel „Back to Base Teil 2“ hinterlassen: Er fragte sich (und mich), inwiefern seine Angst vor dem Versagen ihn zum „Über-Vorbereiten“ verleitet – und inwiefern das wiederum erst Recht zum Versagen des Plans führen mag. Ich bin da ganz bei ihm. Ich denke auch, dass wir uns durch die extensive Planung im Vorfeld gern die Illusion vorgaukeln möchten, wir könnten die Zukunft vorhersehen. Oder gar beherrschen. Da bist Du ja wieder, Kontrolle, alte Freundin. Und das klingt wie? Genau, langweilig. Von unrealistisch einmal ganz abgesehen. Und es führt unweigerlich zu Frustration, wenn wir einen (bestimmt guten) Plan für alle möglichen Szenarien vorbereitet haben und die Wirklichkeit dann etwas ganz anderes vor hat.
Spätestens hier wird die Parallele zum Unternehmenskontext für mich deutlich: Aus lauter Sorge davor, schlecht da zu stehen, fokussieren wir uns oft stärker darauf, möglichst viele Pläne auszuarbeiten, als darauf, neue innovative Lösungen zu generieren, die uns und andere begeistern. Zu oft sind wir schon im Nachhinein gefragt worden: Wieso waren wir darauf nicht vorbereitet? Du merkst es längst, das hat auch viel mit Fehlerkultur zu tun. Die ist in Deutschland noch ausbaufähig, um es freundlich zu formulieren. Es ist natürlich gut, zu analysieren, um denselben Fehler in Zukunft nicht noch einmal zu machen. Aber doch bitte nicht als Rechtfertigungs-Strategie. Im Sinne von: Ich plane, um später Antworten geben zu können, wenn es schief gegangen ist. Guck mal, ich hab‘ soooo viel geplant, an mir lag es nicht. Das ist rückwärtsgerichtet und das Gegenteil von Agilität. Und doch wird genau dieses Verhalten weiterhin von vielen Führungskräften gefördert.
Krisen verstärken das, was eh schon vorhanden ist
Wohin das führen kann, zeigt uns aktuell sehr klar und teilweise schmerzhaft die Pandemie. Achtung, schlimmes Wortspiel: P(l)andemie. Mein Eindruck ist, dass diejenigen, die sich selbst den Raum für Kreativität geben – ob Privatperson oder Unternehmen – gut für sich mit der Krise umgehen. Krisen haben generell gemein, dass sie bereits Vorhandenes verstärken. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Will sagen: Ein Unternehmen, das bereits vor der Krise zu wenig zukunftsfähig agiert hat, schafft es vielleicht nicht durch die Krise. Wenn ich mir erst in der Krise Gedanken mache, wie ich relevant bleibe, kann es zu spät sein. Mache ich mir diese Gedanken permanent, hilft mir diese Agilität in der „Entspannung“ auch in der Krise. Klingt nach Planung? Jein. Gemeint ist echtes Unternehmertum, und das braucht aus meiner Erfahrung heraus ein ständiges Beobachten des Marktes, inklusive agiler Anpassung. Ich bin, sozusagen, stets bereit für den überraschenden Pass. Ich halte mich anspielbar. Klug finde ich es, wenn wir Pläne eher als Ideen oder Möglichkeiten betrachten. Das macht es psychologisch irgendwie auch viel einfacher, sie wieder loszulassen. Viele verschiedene Ideen für verschiedene Szenarien zu haben, ist für mich Intelligenz. Und dann auf Basis dieser vorbereiteten Ideen im passenden Moment aus dem alten Muster auszubrechen und etwas völlig anderes zu machen als bisher. So entsteht etwas Geniales.
Das Virus ist wenig planbar. Das ist für viele Menschen sehr schwierig. „Aber ich fahre doch immer zwei Mal im Jahr in den Urlaub!“ oder „Weihnachten ohne die Großfamilie? Das geht doch nicht!“ sind zwar absolut verständliche Bedürfnisse; die Frage ist nur, wie hilfreich es ist, wenn wir uns an unserem Plan festkrallen in einer Situation, auf die wir so wenig Einfluss haben. Mich macht das eher depressiv, weshalb ich mich in der Regel ziemlich schnell mit den Gegebenheiten abfinde und versuche, die Veränderung als neugewonnene Freiheit zu erleben. Das klingt vielleicht erstmal paradox, funktioniert aber überraschend gut, wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat. Je öfter du die Change-Kurve bewusst durchläufst, desto schneller kannst Du darin werden, in den „Ausprobier-Bereich“ zu gelangen (siehe hierzu auch meinen Artikel Back to Base Teil 2 – Was Du tun kannst, wenn Dir Dein Plan um die Ohren fliegt). Vielleicht stellst Du ja plötzlich fest, dass Du es gar nicht so schlimm findest, Dich am Weihnachtsabend mal nicht über Deine Schwiegermutter aufzuregen.
Ich mache nächste Woche übrigens Urlaub. Eigentlich hatten wir geplant (!), in die Eifel zu fahren. Da das jetzt nicht geht, bleiben wir zu Hause und kuscheln uns hier ein. Und ich werde mir mal wieder eine kurze Schreib-Pause gönnen, damit habe ich ja im Sommer bereits gute Erfahrungen gemacht. Wer weiß, was die Musterunterbrechung an Kreativität zu Tage fördert.
Zum Abschluss meine Einladung an Jogi Löw: Vielleicht lohnt es sich, Ihre Offenheit für Kreativität zu reflektieren? Lassen Sie die Jungs kurz raus Ihrem System, um den Raum für neue Ideen zu öffnen. Dann gucke ich auch gern wieder zu und feuere Sie und Ihre Mannschaft an. Sie können mich gern dazu anrufen. 🙂
Bis übernächsten Freitag! Bleib klar.
Deine Saskia
We are all geniuses. As soon as we stop making plans.
The German national team played against the Czech Republic on Wednesday evening. I’ve only found out how the game ended this morning. We won. 1-0. I usually know the result firsthand because I rarely miss a „Die Mannschaft“ game. On Wednesday I made a conscious decision not to watch the game on TV and to go to bed very early for the first time. This is somewhat alien to me, because I usually find the mumbling and grumbling of „the others“ about Jogi Löw and his team really annoying and manage to stay optimistic and confident. That even I, in my boundless loyalty, would rather close my eyes than watch the game, alarms me. And it makes me think: What is it that inspires us, carries us away, entertains us? And what does this have to do with human behavior in communication in a corporate context?
Creative players are proficient in mental simulation
In my research on the topic, I remembered an article by Tobias Bug that I had read a few months ago in the magazine Zeit Wissen. The article is entitled „The Deadly Pass“ and discusses the connection between neuroscience and football. The quintessence: Creative players master the mental simulation. This means that they have the ability to work out different solution options in their heads. When this competence is then paired with game intelligence, i.e. finding the best solution for a current problem, we are dealing with genius. This works because known, „normal“ thought patterns with their „old“ solutions are challenged. The more a player opens up to perceive his or her environment (in this case the opponents and fellow players and their movements), the more creative the decision. Daniel Memmert, the head of the Institute for Training Science and Sports Informatics in Cologne, found this out through his creativity test for footballers. He developed it together with neuroscientists from the University of Graz. And since I’ve learned this, it seems absolutely logical to me that the few moments in a game when that is exactly what happens and the players come up with creative solutions are the ones that inspire me. This also explains why world-class players like Ronaldo or Messi can only really show their genius if they include their teammates: „Isolating and blocking out the surroundings is a hindrance,“ that is one of Daniel Memmert’s findings.
Boring games are those that seem to just be played according to plan. Everyone stays in his or her position and does what the opponent, who of course has seen many video analyzes beforehand, expects. A goalkeeper who like Neuer suddenly „plays along“, a defensive player who scores a completely unexpected goal, that’s what inspires us. This thesis can be applied wonderfully to all sports known to me. Naturally, I quickly think of boxing. The really great boxers have always been the ones who caused surprises. This enthusiasm that we feel when we see such a game, such a fight, this tingling sensation, that’s what it’s all about.
Planning leads us to believe that we can rule the future
Conversely, this might mean: If we prepare too intensively, too precisely, it can happen that precisely that makes us unable to act at the crucial moment. My brother recently left a comment on my article „Back to Base Part 2“: He asked himself (and me) to what extent his fear of failure led him to „over-prepare“ – and to what extent that may even more so lead to said failure of the plan. I am with him on this one. I also think that through extensive planning in advance, we would like to give ourselves the illusion that we can foresee the future. Or even master it. There you are again, control, old friend. And that sounds … ? Exactly, boring. Not to mention unrealistic. And it inevitably leads to frustration when we have prepared a (certainly good) plan for all possible scenarios and reality then has something completely different in mind.
At this point, at the latest, the parallel to the corporate context becomes clear to me: Out of sheer concern about looking bad, we often focus more on working out as many plans as possible than on generating new, innovative solutions that inspire us and others. Too often have we been asked in retrospect: Why weren’t we prepared? You have long since noticed that it has a lot to do with the culture of mistakes. In Germany there is still room for improvement, to put it in a friendly way. It is of course good to analyze so as not to make the same mistake again in the future. But please not as a justification strategy. In the sense of: I plan to be able to give answers later if it went wrong. Look, I’ve planned soooo much, it wasn’t my fault. This is backward thinking and the opposite of agility. And yet it is precisely this behavior that continues to be encouraged by many managers.
Crises reinforce what is already there
The pandemic is currently showing us very clearly and sometimes painfully where this can lead. Warning, pun intended: p(l)andemic. My impression is that those who give themselves the space to be creative – whether private individuals or companies – deal with the crisis well for themselves. Crises generally have in common that they reinforce what is already there. This applies to both good and bad. That is to say: a company that did not act enough for the future before the crisis may not make it through the crisis. If I only start thinking about how to stay relevant during the crisis, it can be too late. If I keep thinking about these things, this agility helps me to „relax“ even in a crisis. Sounds like planning? Yes and no. What is meant is real entrepreneurship, and in my experience that requires constant observation of the market, including agile adaptation. I am, so to speak, always ready for the surprising pass. I keep myself „playable“. I think it’s wise if we see plans more as ideas or possibilities. That makes it a lot easier psychologically to let go of them. Having lots of different ideas for different scenarios is intelligence for me. And then, on the basis of these prepared ideas, break out of the old pattern at the right moment and do something completely different than before. This creates something ingenious.
The virus is hard to plan. This is very difficult for many people. „But I always go on vacation twice a year!“ or „Christmas without the extended family? No way!“ are absolutely understandable needs; the only question is, how helpful it is when we cling to our plan in a situation over which we have so little control. It makes me more depressed, which is why I usually come to terms with the circumstances pretty quickly and try to experience the change as a newfound freedom. That might sound like a paradox at first, but it works surprisingly well once you get used to it. The more you consciously go through the change curve, the faster you can get to the „try out area“ (see also my article Back to Base Part 2 – What you can do when your plan is up to you flies). Maybe you suddenly realize that you don’t think it’s so bad not to get pissed at your mother-in-law on Christmas Eve.
By the way, I’m on vacation next week. We had actually planned (!) to go to the Eifel. Since that is not possible now, we stay at home and cuddle up here. And I’ll take a short break from writing again, as I’ve already had good experiences with that in the summer. Who knows what creativity the pattern interruption brings to light.
Finally, my invitation to Jogi Löw: Perhaps it is worthwhile to reflect on your openness to creativity? Just let them go out of the system for a little bit to open up space for new ideas. Then I promise to watch again and cheer you and your guys on. You are welcome to give me a call. 🙂
Until Friday after next! Stay clear.
Yours, Saskia