To read this article in English, please scroll down. Während meiner systemischen Ausbildung ist mir gewissermaßen gebetsmühlenartig eingetrichtert worden, stets und ständig nach dem Positiven zu fragen: Was willst Du stattdessen? Und: Was ist die positive Absicht dahinter? Das sind zwei der am häufigsten gestellten Fragen im systemischen Coaching. Das liegt daran, dass wir lösungsorientiert arbeiten, raus aus dem Problemraum, rein in den Lösungsraum. Das ist oft auch sinnvoll, besonders weil Menschen, die sich für ein Coaching entscheiden, in der Regel schon lange genug gedanklich um ihr Problem herumgekreist sind. Ihr Problem kennen sie sehr gut. Der Zugriff auf die Lösung fehlt noch. Damit wir im Coaching nicht noch mehr vom Gleichen tun, was ja offensichtlich in der Vergangenheit nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat, fragen wir also bei jeder vom Klienten angeführten Negation: Was willst Du stattdessen? Und weil wir ressourcenorientiert unterwegs sind, fragen wir: Was ist die positive Absicht dahinter?
Manchmal hilft auch Disney nicht mehr
In der Theorie klingt das alles sehr stimmig. In der Praxis ist es das tatsächlich fast immer auch. Und dann gibt es die Ausnahmen, die jede gute Regel braucht. Neulich habe ich am eigenen Leib erlebt, dass es eben manchmal auch die Frage nach dem NICHT braucht. Ich litt unter akutem Ideen-Overflow. (Mir ist bewusst, dass einige Leute das für ein „Luxusproblem“ halten könnten. Ein echtes Un-Wort, übrigens: Luxusproblem. Da steckt so viel Abwertung drin. Probleme sind aber nun mal sehr individuell, da sind sie für mein Empfinden den Gefühlen sehr ähnlich. Wieso glauben wir eigentlich, wir dürften die Probleme oder Gefühle anderer Menschen bewerten? Schlimmer noch, wir fangen an, unsere ganz eigenen Probleme und Gefühle zu bewerten. Nach dem Motto: Darf ich das jetzt fühlen? Ist das gerechtfertigt? Was werden die Nachbarn sagen?) Das mit dem Overflow passiert mir ab und zu: Da ich gut darin bin, große Visionen zu entwickeln, verliere ich mich manchmal darin und bekomme dann den ersten kleinen Schritt nicht hin. Irgendwie kann ich meine Füße nicht mehr sehen, weil ich mit dem Kopf über den Wolken hänge. Da hilft auch Disney nicht mehr (mehr zur Disney-Methode kannst Du hier lesen). Andere nehmen für sowas vermutlich bewusstseinserweiternde Drogen. Mir muss man nur ein paar Post-Its und einen Stift in die Hand drücken.
Passiert ist das Malheur, als ich vor ein paar Wochen im Rahmen eines Positionierungs-Workshops die Aufgabe bekam, ein Business Model Canvas für meine Selbständigkeit zu erstellen. Canvas ist das englische Wort für Leinwand. Du visualisierst also Dein Geschäftsmodell wie auf einer großen Leinwand. Falls Du dieses Framework noch nicht kennst: Es wird oft für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eingesetzt. Du kannst damit auch gut bestehende Geschäftsmodelle weiterentwickeln bzw. die bereits erfolgte Entwicklung dokumentieren. Das geht allein oder im Team. Es gibt hervorragende Anleitungen im Netz zu finden. Das Business Model Canvas hilft dabei, Klarheit über zum Beispiel die folgenden Fragestellungen zu bekommen:
- Worin bin ich richtig gut? Was könnte ich stundenlang tun, ohne müde zu werden?
- Welchen konkreten Nutzen biete ich meinen Kunden? Wofür würden sie mich bezahlen?
- Welche Kunden will ich haben und über welche Kanäle will ich mit ihnen in Kontakt sein?
- Welche Netzwerke habe ich, die mich unterstützen können?
- Welche Kosten habe ich (gern auch die nicht-monetären, z.B. weniger Zeit mit der Familie) und welcher Gewinn (auch hier zusätzlich gern im übertragenden Sinne) steht dem gegenüber?
Unterstützend kannst Du auch biographisch arbeiten und bis in die Kindheit zurückgehen. Das kann helfen, wenn es darum geht, über den aktuellen Tellerrand hinaus zu schauen. Wenn Du beispielsweise als Kind längere Zeit bei den Pfadfindern warst, hast Du dort Ressourcen und Netzwerke aufgebaut, die für Dein jetziges Business Model relevant sein könnten.
Das Business Model Canvas öffnet den Blick für Großes
Klingt bis hierhin eigentlich erstmal gut, oder? Stimmt, und auch hier ist wieder der Kontext entscheidend. Ja, ein Business Model Canvas ist ein sehr gutes Tool, wenn Dein Ziel ist, zu öffnen. Ideen zu generieren. Dich zu stärken. Dir Deiner vielen Ressourcen und Kompetenzen bewusst zu werden. Wenn Du allerdings so gestrickt bist wie ich, kann der Schuss ganz schnell nach hinten losgehen. Und genau das ist mir passiert. Ich habe mich schon beim Füllen der Leinwand gewundert. Irgendwie war dieses Flipchart-Blatt von Anfang an viel zu klein. Wie sollten denn die ganzen Post-Its da raufpassen? Geschweige denn so, dass man sie danach noch lesen kann? Impossible. Wehe, wenn sie losgelassen. Also habe ich nebenbei noch einigen anderen Teilnehmerinnen geholfen und ihnen ein paar Ideen gegeben. Oder aufgezwungen? Ich bin nicht ganz sicher. War ja high on ideas. Ich fand es für mich jedenfalls kein bisschen hilfreich. Im Gegenteil. Ich hatte danach nicht mehr Klarheit, sondern eben jenen kompletten Ideen-Overflow, der mich handlungsunfähig macht. „Ich hab‘ bestimmt die Übung falsch gemacht“, war mein erster Gedanke. Der zweite, etwas rebellischere: „So eine blöde Übung! Die funktioniert nicht.“ Mit dem fühlte ich mich zwar besser, hatte aber mein Thema weiterhin nicht gelöst: Worauf will ich mich fokussieren?
So. Und da zeigt sich auch schon, wo der Hase im Pfeffer liegt. Wenn Deine Fragestellung lautet „Worauf will ich mich fokussieren?“, dann ist meine Erfahrung, dass das Business Model Canvas gar nicht funktionieren kann. Es stellt einfach nicht die dazu passenden Fragen. (Mist, jetzt habe ich gerade die nächste Idee: Ich könnte ein Business Model Canvas entwickeln, das Fokus-Fragen beantwortet. Sozusagen ein Business Model Focus Canvas. Spätestens jetzt siehst Du mein Problem.)
Willst Du Exploration oder Reduktion?
Geholfen hat mir dann ein Buch, das ich geradezu inhaliert habe: Die Zeit der smarten Experten vom Ehepaar Conta Gromberg (Schau mal unter smartbusinessconcepts.de!). Ich nutze aktuell unter anderem dieses Buch, um mein Expertenkonzept auf die Beine zu stellen. Die beiden machen auf Seite 81 deutlich, dass es zwei Wege gibt:
- Wenn Du am Anfang Deiner Geschäftsidee stehst, braucht es vermutlich Weite, also eine Exploration.
- Wenn Du bereits selbständig bist, geht es wahrscheinlich eher um eine Eingrenzung, also die Reduktion.
Wenn ich das jetzt schreibe, klingt es wahnsinnig banal, aber ich kann Dir sagen, es war wie eine Erleuchtung für mich. Das also war die Erklärung dafür, dass mir das Business Model Canvas in seiner klassischen Form nicht geholfen hat. Um reduzieren zu können, macht es Sinn, sich zu fragen, was man ab sofort nur noch will. Da das manchmal zu überwältigend sein kann, kommt an dieser Stelle meine Erkenntnis ins Spiel, dass die Frage nach dem NICHT eben manchmal doch passend sein kann. Deshalb habe ich mich gefragt:
- Wie will ich nicht mehr arbeiten?
- Mit wem will ich nicht mehr arbeiten? (Hier geht es auch um Kunden!)
- Wo will ich nicht mehr arbeiten?
Als ich diese Fragen für mich klar beantwortet hatte, war es plötzlich ganz leicht, nach dem STATTDESSEN zu fragen. Ich brauchte diesen Zwischenschritt ins Problem ganz dringend für meinen Prozess. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es auch anderen so geht. Je nach Kontext natürlich. Ich fand es nämlich auch sehr befreiend und habe mich ziemlich verwegen gefühlt, aufzuschreiben, wie, mit wem und wo ich nicht mehr arbeiten will. Wir reden uns ja gern ein, besonders als Selbständige, dass wir jeden Job annehmen müssen. Das habe ich ganz am Anfang auch so gemacht. Nur fällt Dir das, denke ich, irgendwann auf die Füße, weil Du merkst: Ich bin jetzt zwar selbständig, aber irgendwie arbeite ich doch immer noch so wie ich das gar nicht will, mit Menschen, mit denen ich zum Teil gar nicht arbeiten will. Und war das nicht einer der Hauptgründe, wieso Du Dich selbständig machen wolltest? Autonomie? Bei mir war es jedenfalls so. Falls Du nicht selbständig, sondern angestellt bist, kannst Du Dir übrigens dieselben Fragen stellen – wenn Du Dich traust. Es könnte nämlich einen starken Wunsch nach Veränderung nach sich ziehen. Da ich finde, dass wir dringend noch mehr wache Hunde auf dieser Welt brauchen, nur zu! Weck ihn auf!
Bis nächsten Freitag. Bleib klar.
Deine Saskia
Business Model CANvas: What it can, what it can’t
During my systemic training, I was told, like a prayer wheel, to always and constantly ask for the positive: What do you want instead? And: What is the positive intention behind it? These are two of the most frequently asked questions in systemic coaching. That is because we work solution-oriented, away from the problem area, into the solution area. This often makes sense, especially because people who choose coaching have usually circled their problem long enough. They know their problem very well. Access to the solution is what’s missing. So that we do not do more of the same in coaching, which obviously did not lead to the desired result in the past, we ask for every negation cited by the client: What do you want instead? And because we are resource-oriented, we ask: What is the positive intention behind it?
Even Disney has his limits
In theory, it all sounds very consistent. In practice, it almost always is. And then there are the exceptions that every good rule needs. I recently experienced first hand that sometimes the question of the NOT is needed. I suffered from an acute overflow of ideas. (I am well aware that some people might consider this a „luxury problem“. A real non-word, by the way: luxury problem. There is so much devaluation in it. But problems are very individual, I think they are very similar to feelings in that way. Why do we think we are allowed to evaluate the problems or feelings of other people? Worse still, we start to evaluate our very own problems and feelings: Am I allowed to feel this now? Is this justified? What will the neighbors say?) The overflow happens to me every now and then: Since I’m good at developing big visions, I sometimes get lost in them and then find myself unable to take the first small step. Somehow I can no longer see my feet because my head is above the clouds. Even Disney doesn’t help anymore (you can read more about the Disney method here). Others probably need mind-expanding drugs for this. All you have to do with me is hand me a few post-its and a pen.
The mishap occurred when I was given the task of creating a Business Model Canvas for my business a few weeks ago as part of a positioning workshop. You basically visualize your business model on a big „canvas“, in this case a piece of flip chart paper. If you are new to this framework: It is often used to develop new business models. You can also use it to further develop existing business models or document developments that have already taken place. You can do it alone or in a team. There are excellent guides to be found on the internet. The Business Model Canvas helps to get clarity about, for example, the following questions:
- What am I really good at? What could I do for hours without getting tired?
- What specific benefits do I offer my customers? What would they pay me for?
- Which customers do I want to have and through which channels do I want to be in contact with them?
- Which networks do I have that can support me?
- What costs do I have (also the non-monetary ones, e.g. less time with the family) and what profit (also: in the figurative sense) do I have to offset this?
In addition, you can work biographically and go back as far as your childhood. This can help when it comes to thinking outside the box. For example, if you spent a long time with the Girl Scouts as a child, you built up resources and networks there that could be relevant to your current business model.
The Business Model Canvas opens up the view for big things
So far, so good, right? Yes, and here too the context is crucial. Yes, a Business Model Canvas is a very good tool if your goal is to open up. Generate ideas. To strengthen you. To become aware of your many resources and competencies. However, if you’re like me, it can backfire very easily. And that’s exactly what happened to me. I was already wondering when filling the canvas. Somehow this flipchart sheet was way too small from the start. How should all the post-its fit in there? Let alone in a way that you can still read them afterwards? Impossible. Woe to when let go. So I also helped a few other participants and gave them a few ideas. Or forced them onto them? I am not sure. I was high on ideas. In any case, I didn’t find it helpful to me. On the contrary. I was still lacking clarity, and that complete overflow of ideas made me unable to act. „I must have done the exercise wrong,“ was my first thought. The second, a little more rebellious: „What a stupid exercise! It doesn’t work.“ I felt better with that, but still hadn’t resolved my topic: What do I want to focus on?
If that is your question, then my experience is that the Business Model Canvas will most likely not work for you. It just doesn’t ask the right questions. (Crap, now I have the next idea: I could develop a Business Model Canvas that answers focus questions. A Business Model Focus Canvas, so to speak. Now at the latest you see my problem.)
Do you want exploration or reduction?
A book that I practically inhaled finally helped me: The time of the smart experts by the Conta Gromberg couple (take a look at smartbusinessconcepts.de!). I am currently using this book, among other things, to get my expert concept up and running. The two make it clear on page 81 that there are two ways:
- If you are at the beginning of your business idea, it probably takes opening up, i.e. exploration.
- If you are already self-employed, it is more likely to be about a limitation, i.e. the reduction.
When I write this now it sounds insanely banal, but I can tell you it was like an enlightenment for me. So that was the explanation why the Business Model Canvas in its classic form did not help me. In order to be able to reduce, it makes sense to ask yourself what you want from now on. Since that can sometimes be too overwhelming, this is where my realization comes into play that the question of NOT can sometimes be appropriate after all. That’s why I asked myself:
- How do I not want to work anymore?
- Who do I not want to work with anymore? (This is also about customers!)
- Where do I not want to work anymore?
When I had answered these questions clearly to myself, it was suddenly very easy to ask for that INSTEAD. I urgently needed this intermediate step into the problem for my process. And I am deeply convinced that others feel the same way. Depending on the context, of course. I also found it very liberating and felt pretty daring to write down how, with whom and where I no longer want to work. We like to tell ourselves, especially as self-employed, that we have to accept any job. I did that at the very beginning. But at some point you will regret this, I think, because you notice: I am now self-employed, but somehow I still work the way I don’t want to, with people, some of whom I don’t want to work with. And wasn’t that one of the main reasons why you wanted to start your own business? Autonomy? At least that’s how it was for me. If you are not self-employed but employed, you can ask yourself the same questions – if you dare. But careful, it could result in a strong desire for change. Since I think that we urgently need more awake dogs in this world, go ahead! Wake up that sleeping dog!
Until next Friday. Stay clear.
Yours, Saskia