Stellt Euch vor, Ihr geht zum Arzt, weil Ihr Schmerzen habt. Und jetzt stellt Euch vor, der fängt einfach an, ein Rezept mit diversen Medikamenten zu schreiben, ohne Euch zu untersuchen oder auch nur eine einzige Frage zu stellen. Würdet Ihr da nochmal hingehen? Also ich nicht.
Was klingt wie der Anfang von einem schlechten Witz, passiert so oder so ähnlich meiner Erfahrung nach täglich in Unternehmen. Nur dass es dort um Projekte und Aufgaben geht. Der Patient ist in meiner Analogie der Auftraggeber (oft die Führungskraft), der Arzt der Beauftragte (oft der Mitarbeiter). Die Führungskraft kommt also mit ihren Schmerzen zum Mitarbeiter und will eine Lösung. Weg 1 des Mitarbeiters könnte wie im Beispiel oben sein, sofort das „Rezept“ zu schreiben, also ohne Rückfragen an der vermeintlich gewünschten Lösung zu arbeiten. Kann klappen, muss aber nicht.
Ich empfehle Weg 2: Der Mitarbeiter führt eine saubere Auftragsklärung durch.
Versteht mich nicht falsch, ich möchte damit nicht sagen, dass die Verantwortung zur Auftragsklärung rein beim Mitarbeiter liegt. Die Verantwortung teilen beide. Wie immer beim Sender-Empfänger-Prinzip versteht der Empfänger eh das, was er will. Also muss ich als Sender dafür sorgen, dass das möglichst nah an dem dran ist, was ich im Kopf habe. Genau wie ich nicht erwarten kann, dass ein Arzt ohne meine Informationen die passende Diagnose stellt, kann ich als Führungskraft nicht erwarten, dass mein Mitarbeiter Gedanken lesen kann, geschweige denn „doch wissen muss, was ich will“. Ich persönlich wäre sofort skeptisch, wenn ich als Führungskraft keine Fragen gestellt bekäme.
Gleichzeitig würde es mir sehr gut gefallen, wenn mehr Mitarbeiter die Auftragsklärung beim Auftraggeber einfordern würden. Ich möchte gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken, wie viele Ressourcen weltweit täglich verschwendet werden, weil der Auftrag nicht geklärt wurde. Wenn ich als Selbständige so arbeiten würde, könnte ich wahrscheinlich bald meinen Laden dicht machen.
Weshalb mir die Auftragsklärung so wichtig ist? Sehr oft habe ich in meiner Arbeit als Beraterin, Trainerin und Coach mit Auftraggebern zu tun, die zu Gesprächsbeginn selbst noch gar nicht genau wissen, was sie eigentlich wollen. Ich finde das total verständlich und sehe es als meine erste Aufgabe an, ihm oder ihr schon an dieser Stelle zu mehr Klarheit zu verhelfen. Ich stelle meinen Kunden in meiner Auftragsklärung deshalb ganz zu Anfang eine sehr banale Frage:
Was soll danach anders sein?
Der Zauber dieser Frage ist in ihrer Einfachheit begründet. Sie hat folgende Vorteile:
- Der Auftraggeber wird zum Nachdenken angeregt.
- Der Auftraggeber formuliert sein Ziel positiv (dazu mehr in meinem Artikel über Zielsetzung).
- Der Auftraggeber bewegt sich vom Problem- in den Lösungsraum.
Oft wird diese erste Frage gefolgt von dieser hier:
Woran werden Sie das erkennen?
Diese vertiefende Frage führt in der Regel dazu, dass beobachtbares Verhalten beschrieben wird. Sie lässt sich sehr schön kontextabhängig variieren:
- Woran werden Ihre Kunden das erkennen?
- Woran Ihre Mitarbeiter? etc.
Im unternehmensinternen Kontext könnte der Auftragnehmer dann entsprechend zum Beispiel fragen:
- Woran werden unsere Kunden das erkennen?
- Woran wird Abteilung xy das erkennen?
- Woran wird unsere Inhaberin das erkennen? etc.
Ich erlebe immer wieder, dass Mitarbeiter sich schlicht nicht trauen, die „Sinn-Frage“ zu stellen. Vielleicht kennt Ihr das auch. Wenn ich Menschen frage, was sie hindert, ihren Auftrag zu klären, bevor sie viel Zeit und Energie in die Lösung stecken, bekomme ich in der Regel mindestens eine der folgenden drei Antworten:
- „Wenn ich nachfrage, sieht das doch so aus, als würde ich meine Chefin hinterfragen. Dann fühlt sie sich bestimmt provoziert.“
- „Bestimmt wirkt das dann so, als wäre ich inkompetent. Ein guter Mitarbeiter versteht seinen Chef doch blind und weiß sofort, was zu tun ist.“
- „Meine Chefin weiß ja, was sie tut. Sie wird also einen guten Grund für den Auftrag haben, auch wenn ich ihn nicht kenne.“
Ich kenne diese Glaubenssätze auch selbst sehr gut aus meiner Konzern-Zeit. Besonders den zweiten. Es gibt wenig, das mir wichtiger ist, als meine Kompetenz. Und ich bilde mir relativ viel auf meine Fähigkeit ein, schnell zu begreifen und/oder zu spüren, was der Andere braucht. Klappt auch meistens ganz gut. Mein Mann nennt mich manchmal liebevoll „den Mentalist“. Nur bin ich damit auch schon oft genug auf die Nase gefallen, wenn ich vielleicht doch nicht ganz richtig lag. Das ist dann meist in Stress für mich ausgeartet, weil ich in wenig Zeit viel anpassen musste. Und ich kann mich noch schmerzlich an Situationen erinnern, in denen mich zwei große Chef-Augen ungläubig anblickten, wenn klar wurde, dass ich meinen Auftrag ganz anders verstanden hatte als er gemeint war. Dieses Risiko halte ich schlicht für unnötig.
Also habe ich vor einigen Jahren angefangen, meine „Anders-Frage“ zu stellen. Ich habe einfach wenig Lust darauf, nach dem Gießkannenprinzip zu arbeiten und dabei zu hoffen, zufällig den richtigen Nerv zu treffen. In meiner Branche hat man auch nicht allzu viele Versuche. Und was mir immer wieder zeigt, wie gut die Frage ist, ist die Tatsache, dass kaum jemand sie ad hoc beantworten kann. Gute Fragen sind für mich fast immer diejenigen, die mein Gegenüber zum Nachdenken anregen. Und dieses Nachdenken führt dazu, dass mein Auftraggeber seine Ziele reflektiert. Aus welchem Grund sollte das unternehmensintern anders sein? In dem Moment, in dem ich den Anderen zum Nachdenken anrege, werde ich zu einem wertvollen Gesprächspartner. Ansonsten bin ich Befehlsempfänger. Und das auch noch, ohne den Befehl wirklich zu kennen. Klingt wenig attraktiv, oder?
Sorgt für Euch. Ob als Auftraggeber oder als Auftragnehmer: Je klarer der Auftrag ist, desto besser für alle. Diese Gespräche lohnen sich und müssen gar nicht lange dauern. Sie kosten allemal einen Bruchteil der Zeit und Ressourcen, die für späteres Justieren drauf gehen. Dann doch lieber gleich die passende „Diagnose“ stellen.
Wie sind Eure Erfahrungen mit der Klärung von Aufträgen in Unternehmen?
Bis nächsten Freitag! Bleibt klar.
Eure Saskia
P.S.: Das Thema Zweifel habe ich weiterhin auf dem Schirm. Kommt noch.