Warum Verletzlichkeit keine Schwäche ist, sondern eine Notwendigkeit.

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Warum Verletzlichkeit keine Schwäche ist, sondern eine Notwendigkeit.

Heute möchte ich meine Gedanken dazu mit Euch teilen, warum wir uns meiner Meinung nach oft nicht trauen, klar zu sein. Warum fällt es uns eigentlich so schwer, klar zu kommunizieren? Was hindert uns? Was befürchten wir?

So viel vorab, und das ist mir wichtig: Es macht ganz sicher nicht in allen Situationen Sinn, mehr Klarheit in unsere Kommunikation zu bringen. In meinem Artikel „Die dunkle Seite der Macht“ habe ich schon darüber geschrieben, dass Klarheit für mich kontextabhängig ist. (Hier könnt Ihr den Artikel lesen.) Eine sehr kluge Freundin von mir hat neulich in einem spannenden Gespräch noch den Wunsch geäußert, adressatengerecht klar zu kommunizieren. Das, finde ich, ist eine sehr schöne Ergänzung und macht es noch klarer.

Ein Kernproblem, das uns hindern kann, klar zu sein, ist für mich dieses: Wir nehmen uns zu wenig Zeit für die Reflexion, die notwendig wäre, um zu durchdringen, was wir eigentlich genau erreichen wollen. Was ist mein Ziel? Was ist die „Überschrift“? (Hier könnt Ihr noch mehr zum Thema Ziele lesen.) Wir sind also schon unklar, bevor wir auch nur den Mund aufgemacht haben. Und selbst wenn wir uns vorbereitet haben auf ein Gespräch, reicht das nicht immer aus. So lange wir uns in unserer Vorbereitung nur mit der Spitze des Eisbergs beschäftigen und nicht darauf schauen, was alles unter Wasser liegt, können wir uns zwar selbst auf die Schulter klopfen, weil wir uns ja so toll vorbereitet haben. Daran kann es also nicht liegen, dass das Gespräch trotzdem nicht so gelaufen ist wie geplant. Wenn wir es ehrlich meinen, braucht es aber mehr. Und dazu müssen wir gewillt sein, im wahrsten Sinne ins kalte Wasser zu springen, abzutauchen und herauszufinden, worum es uns wirklich geht. Welche unserer Werte, welche unserer Bedürfnisse führen uns dazu, mit dem anderen Menschen in eine Auseinandersetzung zu gehen? Erst wenn wir das für uns wissen, können wir den Versuch wagen, es dem Anderen zu vermitteln.

Ich stolpere gerade über das Wort „Auseinandersetzung“, das in meinem eigenen Sprachgebrauch irgendwie negativ belegt ist. Das klingt so nach Streit. Kurz vor fairem Kampf mit Messern. Und doch gibt es für mich auch noch eine andere, absolut positive Bedeutung dieses Begriffs: Nämlich die, dass wir ein komplexes Emotionsknäuel, das als „Sache“ getarnt daher kommt, auseinander wickeln und Stück für Stück betrachten, beleuchten und hinterfragen, anstatt es einfach einem anderen Menschen an den Kopf zu werfen. Das hat für mich auch viel mit Respekt zu tun. Dass das trotzdem immer wieder passieren kann, ist ganz natürlich. Passiert mir ziemlich oft. Ich bilde mir nur ein, dass ich es im Nachgang (fast) immer bemerke. Genau so wichtig wie die Reflexion vorab ist nämlich die danach. Denn bei allen guten Vorsätzen und auch der besten Vorbereitung kann das Gespräch anders verlaufen als geplant. Da ist nämlich auch noch die andere Person mit ihren ganz eigenen Knäueln. Deshalb frage ich mich in solchen Fällen während meiner Selbstreflexion unter anderem: „Was hätte ich an welcher Stelle besser machen können? Und wenn schon nicht besser, dann zumindest anders?“

Vielleicht denkt Ihr jetzt: „Warum überhaupt solche klärenden Gespräche führen? Ohne kommt man doch auch ganz gut zurecht. Vielleicht sogar besser.“ Das mag in manchen Fällen sogar stimmen. Es kommt für mich allerdings darauf an, was es zu gewinnen gibt. Nicht darauf, was es zu verlieren gibt. Und für mich kam irgendwann der Punkt, an dem ich mir dachte: „Ich will zumindest versuchen, alles dafür zu tun, um mich anderen besser verständlich zu machen.“

Mein großes Ziel ist die Verbindung zu anderen. Ich glaube, dafür sind wir überhaupt da.

Für mich gibt es drei Situationen, in denen ich ganz besonders für Klarheit plädiere:

  1. Sobald es um einen Menschen geht, der Euch wirklich wichtig ist.
  2. Wenn Ihr merkt, dass Ihr Euer Gesprächsziel mit der bisherigen Vorgehensweise nicht erreicht. Das können zum Beispiel Gespräche mit Mitarbeitern oder Vorgesetzten sein. Gehaltsverhandlungen. Bewerbungsgespräche. Die Liste ist lang.
  3. Diese Situationen, in denen wir uns im Nachhinein wünschten, wir könnten die Zeit zurückspulen. Und dann die super schlagfertigen Dinge sagen, die uns wie immer erst eingefallen sind, als es schon zu spät war. Kurz: Das sind für mich Situationen, in denen wir für uns sorgen. Für uns einstehen. Weil wir das wert sind.

Manchmal ist es auch eine Kombination aus mehreren dieser Faktoren. Oder gar alle drei auf einmal.

Mein Gefühl ist, dass wir uns oft nicht trauen, klar zu sein, weil wir Angst davor haben, dass das für den Anderen „zu viel“ sein könnte. Achtung, truth bomb: Ja, das kann passieren. Ich würde jetzt wirklich gern sagen, dass diese Gefahr nicht besteht. Kann ich leider nicht machen, das habe ich selbst schon oft genug sehr schmerzhaft erfahren müssen. Und ich mache trotzdem weiter mit meiner Klarheit. Denn die entscheidende Frage ist doch: Wenn es wirklich für den anderen zu viel ist – wie tief geht unsere Verbindung dann wirklich? Und auch wenn es tierisch schmerzt, manchmal ist es besser, das herauszufinden, als sich weiter etwas vor zu machen. Meine Hypothese ist, dass die Vorteile überwiegen. Die Momente, in denen wir mit unserer Klarheit den Anderen auf einer Ebene erreichen, die bisher nicht möglich war, sind magisch. Das schafft echte Verbundenheit. Und die ist es wirklich wert. Vor allem: Wir sind es wert. Da kann ich mich nur wiederholen. Mach‘ ich direkt nochmal: Wir sind es wert! Es ist für mich eine Frage der Selbstwertschätzung, wie sehr wir uns öffnen. Wie viel wir von uns selbst zu zeigen bereit sind. Dabei geht es um Selbstoffenbarung. Mal die Maske fallen lassen. Mal kurz den Schutzschild zur Seite legen. Die Deckung öffnen. Verletzlichkeit nicht als Schwäche begreifen, sondern als Notwendigkeit.

Wenn wir selbst nicht glauben, dass unsere Bedürfnisse okay sind, wie soll es dann der Andere glauben? Ich habe schon Situationen erlebt, die – man kann es sich vielleicht kaum vorstellen, weil ich so viel von Verbundenheit und Bedürfnissen geschrieben habe – tatsächlich fast alle im beruflichen Kontext passiert sind. Da fiel es meinen Klienten wie Schuppen von den Augen, als sie mit ihren eigenen Werten und Bedürfnissen in Kontakt kamen und endlich gemerkt haben: Ach, darum geht es hier eigentlich. Das sind die Momente, die ich in meiner Arbeit mit am meisten liebe. Und weil ich diese Momente immer wieder erleben darf, dabei sein darf, wenn das passiert, kämpfe ich so leidenschaftlich für mehr Klarheit. Besonders in dieser total verrückten, schnellen, krisenbelasteten, ungewissen Zeit braucht es doch genau das. Weil wir das wert sind.

Ich bekomme gerade richtig Lust, noch mehr über das Thema Selbstoffenbarung und Verletzlichkeit zu schreiben. Was denkt Ihr? Ich freue mich auf Eure Gedanken!

Bis nächsten Freitag! Bleibt klar.

Eure Saskia

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