To read this article in English, please press 1. Or scroll down. Heute geht es mal um eine ganz andere Form von „Virus“: Stress. Der kann nämlich auch ansteckend sein. Das ist jedem klar, der kein Stück Holz ist. Wenn wir mit jemandem zusammen sind, der gestresst ist, kann sich dessen oder deren Stress auf uns übertragen. Das lässt sich sogar messen: In manchen Fällen steigt die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, obwohl es gar nicht „unser“ Stress ist. Ein Team von Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Universität Wien hat jetzt in einer experimentellen Studie erforscht, ob wir Menschen in unserem Umfeld noch leichter mit unserem Stress anstecken, wenn diese sich uns verbunden fühlen. Sprich: Je mehr Wir-Gefühl desto mehr Stress-Ansteckung? Die Vermutung liegt nahe.
Erstautorin Valerie Schury, Prof. Dr. Jan Häusser (beide Abteilung Sozialpsychologie der Justus Liebig Universität) und Urs M. Nater (Wien) haben ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel „The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions” („Der soziale Fluch: Nachweis eines mäßigenden Effekts einer gemeinsamen sozialen Identität auf ansteckende Stressreaktionen”) in der Fachzeitschrift Psychoneuroendocrinology veröffentlicht (Schury, V. A., Nater, U. M., & Häusser, J. A. (2020). The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions. Psychoneuroendocrinology, 122. DOI: 10.1016/j.psyneuen.2020.104896). Mehr dazu findest Du hier.
Je stärker das Wir-Gefühl, desto stärker der mitgefühlte Stress
In der Studie hat sich tatsächlich gezeigt, dass sich selbst ein kurzfristig hergestelltes Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit (die Probandinnen und Probanden kannten sich nicht) bereits auf die Cortisol-Ausschüttung auswirkt: Wenn eines der Gruppenmitglieder in eine Stress-Situation versetzt und dies von den anderen miterlebt wurde, stieg die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol auch bei den Beobachtern. Prof. Häusser geht davon aus, dass der Effekt bei nahestehenden Personen wie Familienmitgliedern und Freunden noch stärker ausgeprägt ist. Bei der Vergleichsgruppe wurde bewusst auf die Unterschiede der Teilnehmenden fokussiert, so dass vermutlich weniger Wir-Gefühl entstand. Hier ließen sich die Gruppenmitglieder dann auch deutlich weniger vom Stress des von ihnen beobachteten Probanden anstecken (7% Cortisolanstieg vs. 25% bei den Proband*innen mit dem Wir-Gefühl).
Ich bin übrigens über den Titel der Studie gestolpert: „mäßigend“ hieß für mich bisher immer verringernd. Das macht in diesem Kontext wenig Sinn, weshalb ich kurz recherchiert habe. Mediziner*innen scheinen den Begriff anders einzusetzen als ich. Wenn ich auf die Wurzel des Wortes „moderat“ schaue, macht das auch Sinn – das wird bereits im englischen Titel der Studie deutlich. Hier (und eigentlich vermutlich immer) heißt moderat grob übersetzt: die Ausprägung verändernd.
Ist Entspannung genauso ansteckend wie Stress?
Der Logik der Studienergebnisse weiter folgend, möchte ich gern auf den Umkehrschluss dieser Erkenntnisse blicken. Wenn es so ist, dass wir uns vom Stress uns nahestehender Menschen anstecken lassen können – dann besteht doch die berechtigte Hoffnung, dass uns auch die Entspannung der anderen anstecken könnte. Ansonsten müsste nämlich die rationale Reaktion auf das Studienergebnis sein, sich so weit wie möglich von seinen Mitmenschen zu dissoziieren, um so wenig Stress-Ansteckung wie möglich zu riskieren. Da ich diesen Gedanken zu deprimierend finde, um ihn weiter zu denken, gehe ich lieber in die andere Richtung: Je mehr ich mich mit Menschen umgebe, die entspannt sind, desto entspannter werde ich. Je entspannter ich bin, desto entspannter werden die anderen um mich herum. Allein das zu schreiben hat schon einen Zen-Effekt auf mich.
Ich vermute jetzt einfach mal ins Blaue hinein. Aus evolutionärer Sicht hat dieser empathische Gruppenstress vielleicht mal dazu geführt, dass der Clan sich in Sicherheit gebracht hat, wenn Gefahr drohte. Sprich: Einer ist gestresst und aufgeregt, weil ein Säbelzahntiger hinter ihm her ist, die anderen beobachten das und fangen an zu rennen, obwohl sie das Vieh noch gar nicht sehen können. Grundsätzlich wissen wir nämlich, dass Cortisol zusammen mit Insulin zur Regulierung des Blutzuckerspiegels beiträgt. Unter Stress verbraucht der Körper bekanntermaßen viel Energie und diese wird durch die Bereitstellung von Zucker gewährleistet. Jeder, der Stress-Esser ist, kennt das Phänomen. (Randnotiz: Normalerweise kann Dein Körper das alleine, Du brauchst ihm nicht von außen zu helfen.) Durch seine Blutzucker anhebende Wirkung sorgt Cortisol dafür, dass im Körper bei Bedarf schnell Energie mobilisiert wird. Eine „Fight or Flight“-Reaktion wird ausgelöst. Das Problem im Säbelzahntiger-freien Zeitalter: Wir sind weiter im Flucht- oder Kampfmodus, mit dem Cortisol-Level passiert aber wenig in Richtung Abbau, denn es kommt meistens sozial nicht so gut an, wenn wir vor einer stressigen Situation davonrennen oder alternativ dem Stressor eins auf die Nase geben. Und deshalb macht dieser Stress den modernen Menschen auf Dauer krank. Einer der vielen guten Gründe für gesunde und regelmäßige Bewegung.
Du entscheidest. Auch über Dein Stresslevel.
Na toll, denkst Du, als wenn mein eigener Stress nicht gereicht hätte – jetzt muss ich als halbwegs empathischer Mensch also auch noch den der Anderen abbauen. Ja, und gleichzeitig hast Du eben die Chance, Dich a) so oft Du kannst mit entspannten Menschen zu umgeben, die Dir gut tun, und b) so oft Du kannst selbst in einen entspannten Zustand zu bringen, so dass Du die Anderen anstecken kannst. Am besten beides gleichzeitig.
Falls Du jetzt ein Gefühl der Ohnmacht empfindest, weil zum Beispiel Dein berufliches Umfeld Dich selten entspannt sein lässt, lade ich Dich ein, das mal ausgiebig zu reflektieren. Und: Ich arbeite gerade an einem Stresstypen-Test, mit dem Du herausfinden kannst, in welche Fallen Du vielleicht tappst, wenn Du im Stress bist. Heutzutage, wo der Säbelzahn nicht mehr da ist, geht es in erster Linie um Dein Kommunikationsverhalten im Stress. Je besser Du Dich und Deine Muster kennst, desto besser kannst Du im Stress reagieren. Auch diese Selbstreflexion trägt zur allgemeinen Entspannung bei.
Einer muss ja anfangen mit der Entspannung, warum also nicht Du? Ich werde ab sofort Superspreader für Entspannung. Machst Du mit?
Bis nächsten Freitag. Bleib klar.
Deine Saskia
Stress is contagious. So is relaxation.
Today it’s about a completely different form of „virus“: stress. It can also be contagious. That is clear to everyone who is not a piece of wood. When we are with someone who is stressed, their stress can spread to us. This can even be measured: In some cases the release of the stress hormone cortisol increases, although it is not „our“ stress at all. A team of scientists from the Justus Liebig University in Giessen and the University of Vienna has now conducted an experimental study to find out whether we can infect people around us with our stress more easily if they feel connected to us. In other words: the more „we-feeling“, the more stress contagion? It seems likely.
First author Valerie Schury, Prof. Dr. Jan Häusser (both Department of Social Psychology at Justus Liebig University) and Urs M. Nater (Vienna) have published their research results under the title „The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions“ in the journal Psychoneuroendocrinology (Schury, VA, Nater, UM, & Häusser, JA (2020). The Social Curse: Evidence for a moderating effect of shared social identity on contagious stress reactions. Psychoneuroendocrinology, 122. DOI: 10.1016 / j.psyneuen.2020.104896). You can find out more here.
The stronger the sense of togetherness, the stronger the compassionate stress
The study actually showed that even a short-term feeling of community and belonging (the test subjects did not know each other) already has an effect on the cortisol release: If one of the group members is put in a stressful situation and the others witness this, the release of the stress hormone cortisol increased among the observers. Prof. Häusser assumes that the effect is even more pronounced in people close to you such as family members and friends. In the comparison group, the focus was consciously on the differences between the participants, so that there was probably less of a sense of togetherness. Here, the group members were significantly less infected by the stress of the test subject they observed (7% increase in cortisol vs. 25% for the test subjects with the feeling of unity).
Incidentally, I stumbled across the title of the study: „moderating“ has for some reason always meant reducing to me. That makes little sense in this context, which is why I did some research. Medical professionals seem to use the term differently than I do. If I look at the root of the word „moderate“, it also makes sense – this is already clear much clearer in the English title of the study than in the German version. Here (and actually probably always) „moderating“ roughly translated means: changing the extent.
Is relaxation just as contagious as stress?
Following the logic of the study results, I would like to look at the reverse of these findings. If it is the case that we can let ourselves be infected by the stress of people close to us – then there is justified hope that the relaxation of others could also infect us. Otherwise, the rational reaction to the study result would have to be to dissociate as much as possible from one’s fellow human beings in order to risk as little stress infection as possible. Since I find this thought too depressing to think about it further, I prefer to go in the other direction: The more I surround myself with people who are relaxed, the more relaxed I become. The more relaxed I am, the more relaxed the others around me become. Just writing that has a zen effect on me.
This is only a wild guess: From an evolutionary point of view, this empathic group stress may have led the clan to safety when danger threatened. In other words: One is stressed because a saber-toothed tiger is after him, the others watch him and start running, although they cannot yet see the beast. Basically, we know that cortisol, together with insulin, helps regulate blood sugar levels. It is known that the body consumes a lot of energy under stress and this is ensured by the supply of sugar. Everyone who is a stress eater knows the phenomenon. (Side note: Normally, your body can do this on its own, you don’t have to help it from outside.) Due to its blood sugar-raising effect, cortisol ensures that energy is mobilized quickly in the body when needed. A „fight or flight“ response is triggered. The problem in the saber-toothed tiger-free age: We are still in flight or fight mode, but little happens with the cortisol level in the direction of depletion, because it is usually not so well received socially when we run away from a stressful situation or alternatively punch the stressor in the nose. And that’s why stress makes modern people sick in the long run. One of the many good reasons for healthy and regular exercise.
You decide. Also about your level of stress.
Great, you think, as if my own stress wasn’t enough – now, as a halfway empathetic person, I also have to reduce the stress others infect me with. Yes, and at the same time you have the chance to a) surround yourself as often as you can with relaxed people who are good for you, and to b) to bring yourself into a relaxed state as often as possible so that you can infect others. Preferably both at the same time.
If you are now getting a feeling of powerlessness, for example because your professional environment rarely allows you to be relaxed, I invite you to thoroughly reflect on that. And: I’m currently working on a stress type test with which you can find out which traps you might step into when you are stressed. Nowadays, without the saber-tooth present anymore, it is primarily about your communication behavior under stress. The better you know yourself and your patterns, the better you can react to stress. This self-reflection also contributes to general relaxation.
Someone has to start with the relaxation, so why not you? From now on I will become a super spreader for relaxation. Are you in?
Until next Friday. Stay clear.
Yours, Saskia